CLUB KULTUR | Folge #146 | DER ARTIKEL ZUM PODCAST
„Bei uns hat er sich nicht ausgezogen“
Wien, 30. Oktober 2025
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WIEN VOR HALLOWEEN
Wie jedes Jahr rüstet sich Wien für den großen Maskenball. Der 31. Oktober hat sich, kaum bemerkt, vom Kinderkürbisfest zur lautesten Nacht des Jahres entwickelt. Als ich nach Wien kam, war Halloween noch eine Randnotiz im Veranstaltungskalender - heute ersetzt es für viele gleich Silvester, das man ohnehin meidet, weil dort die Amateurabteilung übernimmt. Heuer könnte das Tasteless-Event im Otto-Wagner Spitalsgelände zum Spektakel werden - wenn sich das Publikum tatsächlich in den Außenbereich wagt. Immerhin: morbide Architektur trifft auf stroboskopische Spiritualität. Wien liebt seine Gegensätze.
ENTER THE VOID
Das Exil öffnet wieder einmal seine Türen - selten, aber stets mit Pathos. Am 7. November übernimmt die Void-Crew, bekannt für gepflegte Düsternis und professionelle Selbstdarstellung. Im Frühjahr hatte man noch technische Aussetzer, diesmal verspricht man Perfektion. Und man muss zugeben: Die Werbelinie sitzt. Hochglanzästhetik für den Underground, das sieht man hierzulande selten. Wenn nur das Ergebnis am Dancefloor mit der Postproduktion mithalten würde.
STEINZEIT RELOADED
Nach Abstechern in Budapest oder Prag wirkt Wien derzeit wie ein Clubmuseum mit leicht funktionsgestörter Anlage. Technisch, organisatorisch, atmosphärisch - vieles scheint auf Rückzug programmiert. Die einst stolze Nachtkultur, einst Reibungsfläche zwischen Avantgarde und Exzess, verkommt mancherorts zum Erinnerungsformat mit Lichttechnik.
AFROHOUSE - TEMPEL DER EKSTASE ODER MARKETINGMASCHINE
Seit etwa zwei Jahren pulsiert im Sechser Club ein Beat, der anders klingt - und doch denselben Mechanismen folgt: Afrohouse. Ursprünglich als spirituell-erdiges Subgenre aus Südafrika entstanden, verbindet es elektronische Energie mit komplexer Percussion und afrikanischer Rhythmik. Es ist Musik, die nicht denkt, sondern schwingt - intuitiv, körperlich, trancehaft. Doch was einst Ausdruck von Community und kultureller Identität war, ist längst zur Lifestyle-Markegeworden: Afrohouse als Instagram-Filter.
Die globalen Player - Black Coffee, Keinemusik, Levi - haben das Genre auf die Mainstages katapultiert. Mit ihnen kamen Sponsoren, Stylisten, Ticketpreise im vierstelligen Bereich und ein Publikum, das mehr filmt als tanzt. Das Ritual wurde ersetzt durch Selbstdokumentation. Dazu noch Djs, die ihren wohlgeformten Body der Gangemende zeigen, das gefällt nicht allen. Underground ist das schon lange keiner mehr. In Wien hat der Sechser Club das erkannt und unter dem Namen Temple Tales einen erstaunlich erfolgreichen Hybrid geschaffen: spirituell aufgeladen, musikalisch präzise, visuell inszeniert. Dahinter steht Dominique Folie, gebürtiger Vorarlberger, der die Szene zwischen Underground und Hochglanz balanciert.
Temple Tales ist, fairerweise gesagt, eines der wenigen Formate, die diesen Stil in Wien mit Anspruch präsentieren. Doch man darf fragen, ob man den Begriff „Temple“ noch wörtlich nehmen sollte - oder ob die moderne Clubspiritualität längst im Merch-Shop angekommen ist. Afrohouse, so scheint es, ist die neue Religion der Wohlmeinenden und auch Wohlhabenden: global, elegant, emotional, aber eben auch perfekt kuratiert fürs Selfie-Licht. Und dennoch - wer einmal erlebt hat, wie sich ein Raum im richtigen Moment in Bewegung versetzt, versteht, warum diese Musik funktioniert. Sie hat das, was vielen anderen Formaten abhanden kam: Gemeinschaftsgefühl ohne Zynismus.

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