Mel Cheren, eine echte Legende der New Yorker Musikszene, sammelte zuvor Erfahrung bei ABC Paramount und später bei Scepter Records, bevor er mit West End Records die goldene Ära der Disco-Musik einläutete. Mit seinem Label schenkte er nicht nur der Tanzmusik eine neue Richtung, sondern lieferte auch den Soundtrack für die pulsierende Schwulen-Partyszene New Yorks.
Als "Godfather of Disco", wie er oft genannt wurde, leistete Mel Cheren einen entscheidenden Beitrag zur Popularität dieses Genres. Doch noch bedeutender war sein Einfluss auf die schwule Szene: Er spielte eine maßgebliche Rolle dabei, dass sie zunehmend im Mainstream akzeptiert wurde. Für Cheren zählten weder sexuelle Orientierung noch Hautfarbe – sein Credo lautete: "Vor Disco sind alle gleich." Diese Haltung spiegelte sich nicht nur in der Musik von West End Records wider, sondern auch in der Atmosphäre der Clubs, die er unterstützte. Hier entstanden Räume, in denen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Identität zusammenkamen, um gemeinsam zu tanzen, zu feiern und frei zu sein.
Der erste Release auf West End Records war ein ungewöhnlicher Start: Der Soundtrack zum anrüchigen italienischen Film How Funny Can Sex Be? (1973). Der Titelsong Sessomatto von Armando Trovajoli, veröffentlicht unter dem Namen Sesso Matto, setzte auf verlängerte Instrumentalpassagen, viel Gestöhne und einen holprigen Groove – ein bewusster Tabubruch.
Während viele Labels der Disco-Ära auf den kommerziellen Zug aufsprangen, baute West End die Züge selbst. Hits wie Taana Gardner’s "Heartbeat", Karen Young’s "Hot Shot" oder Loose Joints’ "Is It All Over My Face" prägten den Sound der Szene. Ein Schlüssel zum Erfolg war die enge Zusammenarbeit mit legendären Produzenten wie Tom Moulton, dem Erfinder der Maxi-Single. Seine Extended Disco-Mixes machten die West End-Veröffentlichungen zu Club-Hymnen, die auf der Tanzfläche unaufhaltsam weiterrollten. West End Records war eng mit der legendären Paradise Garage verbunden – auch privat. Clubbetreiber Michael Brody war lange mit Mel Cheren liiert. Larry Levan, Resident-DJ der Garage, machte die West End-Tracks in der Szene groß, bevor sie von Radiostationen und selbst von Studio 54 aufgegriffen wurden. Während man ins Studio 54 ging, um gesehen zu werden, kam man in die Paradise Garage, um wirklich zu feiern.
Mit dem Niedergang der Disco-Bewegung in den frühen 1980ern verlor auch West End Records an Einfluss. Doch der Kultstatus des Labels war längst zementiert. Noch heute werden West End-Platten als Reissues oder Special Editions neu aufgelegt. 2007 verstarb Mel Cheren im Alter von 74 Jahren an den Folgen von Aids. Dass er es so lange schaffte, war fast ein Wunder. Bis zuletzt kämpfte er für die Community, organisierte Benefiz-Events und stellte in seinem Privathaus Räumlichkeiten für den Gay Men's Health Club zur Verfügung. Sein Erbe lebt in der Musik – und in der Szene, für die er so viel tat.