Millay Hyatt, in Berlin lebende US-Amerikanerin, bringt in ihrem Reiseessay »Nachtzugtage« solche vermessenen Träume zum Zerplatzen – und macht ihren Leser/innen dennoch den Mund wässrig. Warum einfach, wenn es auch abenteuerlich geht?
In Kapiteln wie »Schlaf«, »Fenster« oder »Voyeurin« nimmt sie uns mit auf ihre müden wie ermüdenden Reisen, Reisen, die in der Form eigentlich aus der Zeit gefallen sind und die den Verdacht nahelegen, dass sämtliche Zuggesellschaften in Europa und darüber hinaus sie lieber unterbinden wollten. (»Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Deutsche Bahn die Menschen vom Bahnreisen abschrecken möchte.«) Selbst der eingeschworene Nachtzug-Reisebüroplaner Jens gibt irgendwannauf. Dann die elendigen Umstiegs-Dominoketten, die schon durch nur eine Verspätung ins Wanken geraten …
Hyatt hat sich für ihre Nachtzugtage durch endlose (Nacht-)zug- und Bahnhofsliteratur gegraben, von Yoko Tawadas »Destination Paris« bis Agatha Christies »Mord im Orient-Express«, man staunt über ihre Beobachtungsgabe, ihre Begegnungen, ihre wertschätzende und aufrichtige Wahrnehmung, ihre abgewägten, präzisen Sätze (»Ich habe den ganzen Tag gedöst, damit ich im Nachtzug dämmern konnte.«) und möchte schon nach wenigen Seiten mit der Autorin gemeinsam den nächsten Zug besteigen.
Millay Hyatt
Nachtzugtage
FriedenauermPresse, 200 S.