Erst nach und nach wird deutlich, dass immer auch eine Schuld aus dem Text heraussickert, eine vermeintliche Mitschuld an einem tragischen Zufall, der dazu führte, dass Ken, japanischstämmiger Collegefreund von Hsu, gekidnappt und daraufhin ermordet wurde: Das Memoir als selektive Erinnerungskollektion, als therapeutischer Weg, mit schier Unbegreiflichem umzugehen.
Der Journalist und Autor nimmt sich anfangs, als man von diesem zugrundeliegenden Motiv noch nichts ahnt, ausreichend Zeit, um von seiner Kindheit zu erzählen, von seinen Eltern, die in den Siebzigern von Taiwan nach Kalifornien emigrierten, von der Assimilation als unerreichbares Ziel (»Der Migrationserfahrung wohnt das Telos der Selbstoptimierung inne«) und von seinem popkulturellen Zugang zur Welt. »Die Welt«, das sind die 1990er in den USA.
Rund um das furchtbare Ereignis wird der Text basaler, Hsu umkreist das Thema Freundschaft (»Bei Freundschaft geht es darum, jemanden kennen zu wollen, und weniger darum, gekannt zu werden«) mit bewundernswertem Realismus. Und wirft so die Fragen auf: Welche Erinnerungen wählt man aus, um von einer verstorbenen Person zu erzählen? Wo beansprucht man sie für sich, wo beginnt Verklärung? Was erzählt man dadurch von sich? Und natürlich: Wann ist man ein guter Freund?
Das 2023 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Memoir »Stay True« eröffnet ein überwältigendes Potpourri an Themen.
Hua Hsu
Stay True. Ein Memoir über Freundschaft
Ü: Anette Grube